Die
"Lesebuchgeschichten"
von
Wolfgang Borchert


 Illustriert und gestaltet von Dietmar Heinzel

  Die Künstlermappe wurde in einer Auflage von
  10 Exemplaren gedruckt.
  Jede Mappe besteht aus 10 Bild-Textbögen im
  Format 43 cm x 122 cm (aufgeschlagen) plus
  einem Einleitungsbogen.

  Die Texte sind mit Bleisatz gedruckt, während
  die Illustrationen mit einem von mir selbst
  entwickeltem Hochdruckverfahren gedruckt
  wurden, der Zelographie.

  Das Verfahren wurde in der Jungen Kunst 1992
  Nr. 14 veröffentlicht.

  Der Rowohlt-Verlag erteilte die Veröffentlichungs-
  rechte für diese zehn Exemplare. 




   



   



Alle Leute haben eine Nähmaschine, ein Radio, einen Eisschrank und ein Telefon. Was machen wir nun? Fragte der Fabrikbesitzer.


Bomben, sagte der Erfinder.
Krieg, sagte der General	
Wenn es denn gar nicht anders geht,
sagte der Fabrikbesitzer.




Der Mann mit dem weißen Kittel
schrieb Zahlen auf das Papier.
Er machte ganz kleine zarte Buchstaben


dazu.

Dann zog er den weißen Kittel aus und       
pflegte eine Stunde lang die Blumen 
auf der Fensterbank.
Als er sah, dass eine Blume eingegangen
war, wurde er sehr traurig und weinte.
Und auf dem Papier standen die Zahlen.
Danach konnte man mit einem halben
Gramm in zwei Stunden tausend
Menschen tot machen.
Die Sonne schien auf die Blumen.
Und auf das Papier.




Zwei Männer sprachen miteinander.
Kostenanschlag?
Mit Kacheln?
Mit grünen Kacheln natürlich.
Vierzigtausend.
Vierzigtausend? Gut.
Ja mein Lieber, hätte ich nicht rechzeitig
von Schokolade auf Schießpulver um-

gestellt, dann könnte ich Ihnen die
Vierzigtausend nicht geben.
Und ich Ihnen keinen Duschraum.
Mit grünen Kacheln.
Mit grünen Kacheln.
Die beiden Männer gingen auseinander.
Es waren ein Fabrikbesitzer und ein
Bauunternehmer.
Es war Krieg.




Kegelbahn. Zwei Männer sprachen mit-
einander. Nanu, Studienrat, dunklen Anzug
an. Trauerfall? Keineswegs, keineswegs.
Feier gehabt. Jungens gehen an die Front.
Kleine Rede gehalten. Sparta erinnert.
Clausewitz zitiert. Paar Begriffe mitgegeben:
Ehre Vaterland. Hölderlin lesen lassen.
Langemarck gedacht.
Ergreifende Feier. Ganz ergreifend.



Mein Gott, Studienrat, hören Sie auf.
Das ist ja grässlich.
Der Studienrat starrte die anderen entsetzt 
an. Er hatte beim Erzählen lauter kleine
Kreuze auf das Papier gemacht.
Lauter kleine Kreuze. Er stand auf und
lachte. Nahm eine Kugel und ließ sie
über die Bahn rollen. Es donnerte leise.
Dann stürzten hinten die Kegel.
Sie sahen aus wie kleine Männer.




Zwei Männer sprachen miteinander.
Na, wie ist es?
Ziemlich schief.
Wie viel haben Sie noch?
Wenn es gut geht: viertausen.
Wie viel können Sie mir geben?
Höchstens achthundert.
Die gehen drauf.
Also tausend.



Danke.
Die beiden Männer gingen auseinander.
Sie sprachen von Menschen.
Es waren Generäle.
Es war Krieg.




Zwei Männer sprachen miteinander.
Freiwilliger?
`türlich.
Wie alt?
Achtzehn. Und du? Ich auch.

Die beiden Männer gingen auseinander.
Es waren zwei Soldaten.
Da viel der eine um. Er war tot.
Es war Krieg.




Als der Krieg aus war, kam der Soldat
nach Haus. Aber er hatte kein Brot.

Da sah er einen, der hatte Brot.
Den schlug er tot.
Du darfst doch keinen totschlagen, sagte
der Richter.
Warum nicht, fragte der Soldat.




Als die Friedenskonferenz zu Ende war,
gingen die Minister durch die Stadt.
Da kamen sie an einer Schießbude vorbei.
Mal schießen, der Herr?
Riefen die Mädchen mit den roten Lippen.
Da nahmen die Minister alle ein Gewehr
und schossen auf kleine Männer aus Pappe.

Mitten im Schießen kam eine alte Frau
und nahm ihnen die Gewehre weg.
Als einer der Minister es wiederhaben
wollte, gab sie ihm eine Ohrfeige.
Es war eine Mutter.




Es waren mal zwei Menschen.
Als sie zwei Jahre alt waren, da schlugen sie 
sich mit den Händen.
Als sie zwölf waren, schlugen sie sich mit
Stöcken und warfen mit Steinen.
Als sie zweiundzwanzig waren, schossen
sie mit Gewehren nach einander.



Als sie zweiundvierzig waren, bewarfen sie
sich mit Bomben.
Als sie zweiundsechzig waren, nahmen sie
Bakterien.
Als sie zweiundachtzig waren, da starben
sie. Sie wurden nebeneinander begraben.
Als sich nach hundert Jahren ein Regen-
wurm durch ihre beiden Gräber fraß,
merkte er gar nicht, dass hier zwei ver-
schiedene Menschen begraben waren.
Es war dieselbe Erde. Alles dieselbe Erde.




Als im Jahre 5000 ein Maulwurf aus der
Erde rausguckte, da stellte er beruhigt
fest:
Die Bäume sind immer noch Bäume.
Die Krähen krächzen noch.
Und die Hunde heben immer noch ihr Bein.

Die Stinte und die Sterne,
das Moos und das Meer
und die Mücken:
Sie sind alle dieselben geblieben.
Und manchmal -
manchmal trifft man einen Menschen.